Eine Software geht auf Reisen

Um den Zugang zum Gesundheitssystem zu vereinfachen, hat die DEZA in Tansania eine Krankenversicherungs-Software entwickeln lassen. Diese ist so erfolgreich, dass sie auch in Nepal, Kamerun oder im Tschad angewendet wird.

Text: Christian Zeier

Dank der Software IMIS profitieren auch Menschen in abgelegenen Regionen von Krankenversicherungen. Sie können ganz einfach per Smartphone registriert werden.
© DEZA

Wer in Tansania ein Gesundheitszentrum besucht, muss meist alles aus eigener Tasche bezahlen. Nur jede sechste Person im ostafrikanischen Land ist krankenversichert, mehr als 45 Millionen Menschen bezahlen ihre Gesundheitskosten selber. Jaa Issa Waziri ist da eine Ausnahme. Als sich die Frau aus dem Dörfchen Wisikwantisi vor Kurzem im regionalen Spital operieren liess, wurden die Kosten vom distriktbasierten Gesundheitsfonds übernommen. «Zu sehen, wie der Fonds meine Kosten deckt, war eine unvergessliche Situation», sagt sie. Jaa Issa Waziri ist damit Nutzniesserin eines Projekts, dessen Ursprünge in den 1960er-Jahren liegen.

Digitale Lösung

Zu dieser Zeit begann die DEZA ihr Engagement zur Verbesserung der Gesundheit in Tansania. Neben dem Zugang zu einer leistungsfähigeren Gesundheitsversorgung legte die Schweiz in den folgenden Jahrzehnten den Fokus auch auf die Einrichtung von Gesundheitsfonds. Die Menschen sollten dazu gebracht werden, im Voraus Geld in einen Fonds einzuzahlen, aus dem dann ambulante Behandlungen und Spitalaufenthalte bezahlt werden. So entstanden lokal organisierte Krankenversicherungen, die auch für die Ärmsten zugänglich sind.

Doch wie schafft man es, möglichst viele Leute möglichst einfach zu registrieren? Und wie lassen sich die dafür notwendigen Prozesse und Daten managen? «Es wurde deutlich, dass wir neben der Qualität und der Finanzierung der Gesundheitsversorgung eine weitere Komponente brauchen», sagt Viviane Hasselmann, Themenverantwortliche Gesundheit bei der DEZA. So gab die Schweiz die Entwicklung eines Internet-basierten IT-Systems in Auftrag, das unter anderem die rasche elektronische Registrierung in den Dörfern sowie die digitale Leistungsabrechnung ermöglichen sollte. 2012 wurde die vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) entwickelte Krankenversicherungssoftware IMIS in der Region Dodoma lanciert.

Tansania ist überzeugt

Während es früher nur eine Versicherungskarte pro Haushalt gab, verwaltet Jaa Issa Waziri heute ihre Krankenversicherungsleistungen per Smartphone. Sie kann damit Policen erneuern oder Ansprüche anmelden – wenn sie ins Spital muss, finden sich auf dem Gerät alle notwendigen Informationen. Das System ist transparenter, flexibler und effizienter geworden. Diese Vorteile haben zu einem rasanten Anstieg der Versicherten geführt: Laut Swiss TPH konnten bereits mehr als 1,8 Millionen Nutzer (aktiv und inaktiv) registriert werden.

Letztes Jahr gab die tansanische Regierung zudem bekannt, dass sie das System auf nationaler Ebene einführen will. 2019 endet die aktuelle Projektphase der DEZA – danach folgt eine Ausstiegsphase, in welcher der Staat bei der Einführung auf nationaler Ebene unterstützt wird. «Danach sollte das System komplett unabhängig von unserer Unterstützung funktionieren», so Viviane Hasselmann.

Erfolg über Grenzen hinweg

Was IMIS aussergewöhnlich macht, ist die Tatsache, dass es sich auf unterschiedlichste Bedürfnisse und Sprachen anpassen lässt. Diese Flexibilität und die ersten Erfolge in Tansania führten dazu, dass die Software den Sprung in andere Länder geschafft hat. Das Swiss TPH unterstützte die Lancierung in Kamerun, wo IMIS zum Management einer Krankenversicherung der katholischen Kirche eingesetzt wird; die deutsche Entwicklungszusammenarbeit brachte IMIS nach Nepal.

Die DEZA als Lizenzinhaberin befürwortet und fördert diese Entwicklung. «Wir haben gemerkt, dass die Software gut funktioniert und grosses Potenzial hat», sagt Viviane Hasselmann. «Also machten wir uns Gedanken, wie möglichst viele Menschen davon profitieren können.» So lancierten die Schweiz und Deutschland 2016 gemeinsam die openIMIS-Initiative. Das Ziel: Auf Basis von IMIS soll eine Open Source Software entwickelt werden, die für jedes Land und jede Organisation frei zugänglich ist. Das System soll von einer internationalen Gemeinschaft von Programmierern, Versicherungsexperten und Nutzern stetig weiterentwickelt werden.


Folgen weitere Länder?

Während diese Nutzer- und Programmierer-Gemeinschaften erst im Aufbau begriffen sind, steht die Open Source Software grundsätzlich bereit. «Wo sich die Möglichkeit ergibt, machen wir Werbung für die Software», sagt Viviane Hasselmann. «Wenn ein Land interessiert ist, kann es kostenlos auf die aktuellste Version zugreifen.» Momentan wird eine französische Version im Kongo getestet, und im Tschad kommt openIMIS im Rahmen eines Pilotprojekts zum Einsatz. Hier ergänzt die Software das bestehende Engagement der DEZA im Gesundheitsbereich (siehe Infokasten).

Heisst das also, dass das Programm in jedem Land mit niedrigem oder mittleren Einkommenstand angewendet werden kann? «Wieweit die Software eine Lösung sein kann, hängt natürlich von der Situation vor Ort ab», sagt Helen Prytherch vom Swiss TPH. Die Registrierung funktioniere nur, wenn die Menschen dem System vertrauten – was wiederum davon abhängt, ob ein genügend ausgebautes und zuverlässiges Gesundheitssystem vorhanden ist. Grundsätzlich sei die Software aber sehr flexibel: «Wir haben bislang mit Staaten und gemeinnützigen Organisationen zusammengearbeitet, auf nationaler und auch auf lokaler Ebene», sagt Helen Prytherch. «Wenn weitere Länder anklopfen, auch grössere, würden wir das natürlich prüfen.»


Erste Erfolge im Tschad

Im Tschad setzt sich die DEZA seit 2009 für den Aufbau lokaler Krankenversicherungen ein, die auf dem Solidaritätsprinzip basieren. Gleichzeitig unterstützt die Schweiz die Regierung im Rahmen der globalen Initiative P4H (Providing for Health) bei der Umsetzung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung. «Der Tschad ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die bilaterale und globale Ebene der Entwicklungszusammenarbeit ergänzen können», sagt Viviane Hasselmann von der DEZA. Bezüglich Reichweite der Krankenversicherungen gibt es im Tschad noch Verbesserungspotenzial: In den betroffenen Regionen haben sich bislang sechs Prozent der Menschen registriert – zehn Prozent wären gemäss Hasselmann ein zufriedenstellender Wert. Wolle man deutlich mehr Menschen erreichen, müsse man parallel die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern und längerfristig die Krankenversicherung national und obligatorisch einführen.

Open Source: Richtiger Ansatz

Dass die Schweiz ein erfolgreiches Programm als Open Source Software zur Verfügung stellt, ist nicht selbstverständlich. «Die DEZA ist als einer der wenigen Geber sehr offen gegenüber der Idee, kostenlose Lizenzen zu vergeben», sagt Siddharth Srivastava, Spezialist für Gesundheitsfinanzierung beim Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut. Dadurch sei ein Projekt entstanden, das wahrhaft kollaborativ funktioniere und von dem immer mehr Länder profitieren könnten. «Aus unserer Sicht ist das der richtige Ansatz», so Srivastava. «Die DEZA geht mit gutem Beispiel voran.» Dabei sei es nicht immer einfach, Open-Source-Lösungen zu implementieren. So müsse die eigene Software attraktiv gegenüber kommerziellen, lizenzbasierten Lösungen sein. Und: Für Länder, in denen starke Korruption herrscht, sind kostenlose Lizenzen, bei denen kein Geld fliesst, nicht unbedingt interessant.